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Aus der Fahrerlaubnisverordnung § 13 Satz 1 Nr. 2 c) FEV folgt, dass ein Medizinisch-Psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde.
Aus der Fahrerlaubnisverordnung folgt auch, dass ein Medizinisch-Psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn zwar keine Alkoholabhängigkeit vorliegt, jedoch Anzeichen für Alkoholmissbrauch vorliegen oder sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen, § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d) i.V.m. Buchst. a) FEV.
Dies führte dazu, dass eine Medizinisch-Psychologische Begutachtung bei einer Trunkenheitsfahrt mit 1,3 ‰ BAK bei Ersttätern verlangt wurde, ohne dass besondere Gründe vorlagen.
Das Bundesverwaltungsgericht [BVerwG 3 C 24.15 und BVerwG 3 C 13.16] hat die vorinstanzlichen Entscheidungen geändert. Es hat die Beklagten verpflichtet, den Klägern die beantragten Fahrerlaubnisse auch ohne die Vorlage eines positiven Medizinisch-Psychologischen Gutachtens zur Frage von Alkoholmissbrauch neu zu erteilen.
Eine einmalige Trunkenheitsfahrt ohne das Hinzutreten weiterer aussagekräftiger Tatsachen rechtfertige erst ab einer BAK von 1,6 ‰ die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens.
Dies bedeutet: Wenn keine besonderen Umstände des Einzelfalls eine andere Bewertung rechtfertigen (z.B. bei einer Fahrt zur Arbeitsstelle morgens um 9.00 Uhr mit einer BAK von 1,3 ‰ BAK oder bei 1,3 ‰ BAK mit einer geöffneten Bierflasche in der Hand am Steuer), dürfen die Fahrerlaubnisbehörde bei einer Alkoholfahrt unter 1,6 ‰ BAK keine Medizinisch-Psychologische Begutachtung vor der beantragten Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach Ablauf der Sperrfrist verlangen.
Das BVerwG hat somit der Praxis nicht weniger Fahrerlaubnisbehörden auch schon bei einer BAK ab 1,1 ‰ bei Ersttätern grundsätzlich eine Medizinisch-Psychologische Begutachtung zu verlangen, einen Riegel vorgeschoben.
Die Entscheidungen haben mehrere Auswirkungen:
1. Es ist bereits im Strafverfahren darauf zu achten, ob besondere Umstände für einen Alkoholmissbrauch auch unter 1,6 ‰ BAK vorliegen oder nicht. Die Entscheidungen werden der Fahrerlaubnisbehörde mitgeteilt und auch gelesen. Somit stellen sich schon im Strafverfahren die Weichen für die Frage, ob auch unter 1,6 ‰ BAK eine Medizinisch-Psychologische Begutachtung angeordnet wird. Hier kann es für den Mandanten günstige sein, wenn er im Strafverfahren einen Strafbefehl erwirkt, der kaum mehr als Tag, BAK und Ort der Trunkenheitsfahrt nennt, als ein ausführlich begründetes Urteil, das ausführt, dass der Mandant z.B. mit der geöffneten Bierflasche in der Hand angehalten wurde.
2. Keineswegs bedeuten die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, dass bei einer BAK unter 1,6 ‰ BAK bei einem Ersttäter keine Medizinisch-Psychologische Begutachtung abverlangt werden darf.
3. Wem als Ersttäter unter der Schwelle von 1,6 ‰ BAK eine Medizinisch-Psychologische Begutachtung vor Neuerteilung der Fahrerlaubnis abverlangt wurde und diese beigebracht hat, kann keinen Schadensersatzanspruch gegen die Behörde durchsetzen, weil er (nach den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts) die Medizinisch-Psychologische Begutachtung vor Neuerteilung der Fahrerlaubnis überhaupt nicht hätte beibringen müssen.
4. Es darf die Prognose gewagt werden, dass der Gesetzgeber reagiert und in der neuen Legislaturperiode grundsätzlich eine Medizinisch-Psychologische Begutachtung schon ab 1,1 ‰ BAK bei einem Ersttäter ermöglichen wird. Die Entscheidungen betrafen das Verhältnis einer Anordnungsmöglichkeit ab 1,6 ‰ BAK und der Anordnungsmöglichkeit unter 1,6 ‰ BAK wegen des Verdachts auf Alkoholmissbrauch. Das Gericht nämlich nicht ausgeführt, dass Alkoholmissbrauchsverdacht bei einem Ersttäter unter 1,6 ‰ BAK nicht gegeben ist!